Seikilos-Stele

Die Seikilos-Stele im Dänischen Nationalmuseum
Details der Stele
Seikilos-Inschrift mit altgriechischer Musiknotation
Melodie des Seikilos-Epitaphs in heutige Notation umgeformt

Die Seikilos-Stele ist ein altgriechischer Grabstein aus Tralles (Kleinasien), auf dem die Vorform einer musikalischen Notation gefunden wurde. Das in einer antiken Notation eingemeißelte Lied mit griechischem Text wurde frühestens in hadrianischer Zeit (117–138 n. Chr.) und spätestens zu Beginn des 3. Jh. n. Chr. in den Stein geschlagen. Nur in dieser Zeit findet sich in den Inschriften von Tralleis ein volutenförmiger Buchstabe Omega, der über einer durchgehenden Querhaste schwebt. Es ist somit eines der ältesten vollständig erhaltenen Musikstücke. Das diatonische Stück steht in iastisch-ionischer Tonart, ohne sich lückenlos in die Systematik altgriechischer Musiktheorie einzufügen.[1]

Die Stele wurde 1883 von Sir William Mitchell Ramsay in der Nähe von Aydın entdeckt und veröffentlicht. Ramsay erkannte jedoch nicht, dass eine Form der Musiknotation vorlag und notierte daher: „I do not understand the meaning of the small letters placed above the lines of the second part.“[2] Dieses Verdienst kam Otto Crusius zu. Die Stele befindet sich nach einer wechselvollen Geschichte heute im Dänischen Nationalmuseum (Inventarnummer 14897).

Griechischer Text

Εἰκὼν ἡ λίθος
εἰμί· τίθησί με
Σεικιλος ἔνθα
μνήμης ἀθανάτου
σῆμα πολυχρόνιον.

Ὅσον ζῇς φαίνου
μηδὲν ὅλως σὺ
λυποῦ· πρὸς ὀλί-
γον ἐστὶ τὸ ζῆν.
τὸ τέλος ὁ χρό-
νος ἀπαιτεῖ.

Umschrift (ohne Akzente)

Eikōn hē lithos
eimi; tithēsi me
Seikilos entha
mnēmēs athanatou
sēma polychronion.

Hoson zēs, phainou
mēden holōs sy
lypou; pros oli-
gon esti to zēn.
to telos ho chro-
nos apaitei.

Eine mögliche Übersetzung

Ich bin ein Bild
in Stein; Seikilos stellte
mich hier auf,
in ewiger Erinnerung,
als zeitloses Symbol.

Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung.
Traure über nichts
zu viel. Eine kurze Frist
bleibt zum Leben.
Das Ende bringt die
Zeit von selbst.


Hörbeispiel (Aussprache des Koine-Griechisch)/?

Literatur

  • W. D. Anderson: Music and Musicians in Ancient Greece. Ithaca – London 1994, S. 222–226.
  • Otto Crusius: Zu neuentdeckten Musikresten. In: Philologus. Bd. 52, 1893, S. 160–200, hier: S. 160–173.
  • G. Lambin: La chanson grecque dans l’antiquité. Paris 1992, S. 125–128.
  • T. J. Mathiesen: Apollo’s Lyre. Greek Musik and Music Theory in Antiquity and the Middle Ages. Lincoln – London 1999, S. 141–150.
  • Ludwig Meier: Sprechende Steine, Gesang und ,professionelles‘ Wissen. Kulturhistorische Überlegungen zur Grabsäule des Seikilos (I. Tralleis 219). In: Tyche. Beiträge zur Alten Geschichte, Papyrologie und Epigraphik. Bd. 32, 2017, S. 101–117.
  • Annemarie Jeanette Neubecker: Altgriechische Musik. Eine Einführung. Darmstadt 1994, S. 149 f.
  • Egert Pöhlmann – Martin L. West: Documents of Ancient Greek Music. The extant melodies and fragments. Oxford 2001, S. 88–91 Nr. 23.
  • Fjodor B. Poljakov: Die Inschriften von Tralleis (= Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien, 36, 1). Bonn 1989, Nr. 219.
  • William M. Ramsay: Unedited Inscriptions of Asia Minor. In: Bulletin de correspondance hellénique. Bd. 7, 1883, ISSN 0007-4217, S. 258–278, hier S. 277 f., doi:10.3406/bch.1883.4159.
  • J. Solomon: The Seikilos Inscription: A Theoretical Analysis. In: American Journal of Philology. Bd. 107, 1986, S. 455–479.
  • Martin L. West: Ancient Greek Music. Clarendon Press, Oxford u. a. 1992, ISBN 0-19-814897-6.
  • Mit Hörbeispiel (Aussprache des Koine-Griechisch)

Einzelnachweise

  1. Meier 2017, S. 103. 108 mit Anm. 41.
  2. Ramsay 1883, S. 278.