Notabene 45

In dem 1961 erschienenen literarischen Tagebuch Notabene 45 beschreibt Erich Kästner seine Erlebnisse im zusammenbrechenden Dritten Reich am Ende des Zweiten Weltkriegs.[1]

Der auf Tagebuchnotizen beruhende Bericht beginnt am 7. Februar 1945 kurz vor dem verheerenden Bombenangriff auf Dresden, die Geburtsstadt Kästners. In Berlin versuchten einige Filmleute, sich aus der brennenden Hauptstadt abzusetzen. Unter dem Vorwand, den Film Das verlorene Gesicht produzieren zu wollen, reiste eine 60-köpfige Truppe aus Schauspielern, Kameraleuten, Tontechnikern usw. nach Mayrhofen in Tirol.[2][3] Mit dabei war als angeblicher Drehbuchautor Erich Kästner, den Freunde nachträglich auf die Teilnehmerliste geschmuggelt hatten. Das Propagandaministerium, das dieses Projekt zunächst ablehnte, wurde mit einem Hinweis, dass dieser Film für den kurz bevorstehenden Endsieg gedacht sei, elegant ausmanövriert. Über die Tatsache, dass es gar kein Filmmaterial mehr gab, sah man großzügig hinweg. Der Bericht endet am 2. August 1945, kurz vor der Gründung des Kabaretts Die Schaubude, für die Kästner Texte lieferte.

Obwohl Erich Kästner vom NS-Regime mit einem Schreibverbot belegt, seine bis dahin veröffentlichten Bücher 1933 verbrannt wurden[4] und er mehrfach von der Gestapo verhört worden war, ist Notabene 45 nicht ausschließlich als Abrechnung mit dem verhassten Regime zu verstehen.[5] Mit beißender Ironie kommentiert er den alltäglichen Wahnsinn, etwa die bis zuletzt unermüdlich arbeitende Bürokratie, die inmitten allgemeiner Auflösungserscheinungen korrekt ausgefüllte Formulare in achtfacher Ausfertigung verlangte. Untaten der alliierten Truppen in der Endphase des Krieges (siehe Sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg, Sowjetische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg) und als Besatzer, zum Beispiel Vergewaltigungen, benennt er ebenfalls. Trotz eines immer wieder einfließenden Sarkasmus werden die meisten Geschehnisse wertfrei und neutral geschildert; Notabene 45 kann durchaus als Zeitzeugnis gelten.

Inhalte des Buches wurden unter dem Titel Das Blaue Buch als Kriegstagebuch mit Roman-Notizen im Jahr 2006 neu aufgelegt.

Im Jahr 1986 setzte Heinrich Breloer Kästners Aufzeichnungen als Fernsehdokumentation unter dem Titel Das verlorene Gesicht um. Über einen Zusammenhang zum Filmdrama Das verlorene Gesicht von Kurt Hoffmann aus dem Jahr 1948 kann hingegen nur spekuliert werden.[6]

Einzelnachweise

  1. Tilman Spreckelsen: Nachrichten aus der Barbarei. In: FAZ.net. 7. Juli 2006, abgerufen am 9. September 2016. 
  2. Aufzeichnungen eines Asphaltliteraten. In: deutschlandradiokultur.de. 16. Oktober 2012, abgerufen am 9. September 2016. 
  3. Notabene Mayrhofen. In: literaturportal-bayern.de. 6. April 2016, abgerufen am 9. September 2016. 
  4. Rezension – Erich Kästner: „Notabene 45 – Ein Tagebuch“. In: kulturbuchtipps.de. 2. August 2016, abgerufen am 9. September 2016. 
  5. Erich Kästner: „Notabene 45“. In: Der Spiegel. Nr. 35, 1961 (online). 
  6. Ingo Tornow: Erich Kästner und der Film. dtv, München 1998, ISBN 3-423-12611-6, S. 11.
Werke von Erich Kästner

Romane und Erzählungen:
Emil und die Detektive | Pünktchen und Anton | Fabian. Die Geschichte eines Moralisten | Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee | Das fliegende Klassenzimmer | Drei Männer im Schnee | Emil und die drei Zwillinge | Die verschwundene Miniatur | Der Zauberlehrling | Der kleine Grenzverkehr | Das doppelte Lottchen | Die Konferenz der Tiere | Der kleine Mann | Der kleine Mann und die kleine Miss | Der Gang vor die Hunde

Lyriksammlungen:
Herz auf Taille | Lärm im Spiegel | Ein Mann gibt Auskunft | Arthur mit dem langen Arm | Das verhexte Telefon | Gesang zwischen den Stühlen | Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke | Die 13 Monate

Einzelne Gedichte:
Weihnachtslied, chemisch gereinigt | Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? | Jahrgang 1899 | Sachliche Romanze | Kurt Schmidt, statt einer Ballade | Die Ballade vom Nachahmungstrieb | Das Eisenbahngleichnis | Der Handstand auf der Loreley

Nacherzählungen:
Till Eulenspiegel | Der gestiefelte Kater | Münchhausen | Die Schildbürger | Don Quichotte | Gullivers Reisen

Hörspiel und Theater:
Leben in dieser Zeit | Die Schule der Diktatoren | Klaus im Schrank oder Das verkehrte Weihnachtsfest

Textsammlungen:
Das Schwein beim Friseur | … was nicht in euren Lesebüchern steht

Autobiographisches:
Als ich ein kleiner Junge war | Notabene 45

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